Interview mit Wolf-Dietrich Graf von Hundt zum 20 jährigen Jubiläum als ehrenamtlicher Diözesanleiter
„Das Ehrenamt hat die Kraft, die Gesellschaft besser zu machen“
Unsere Gesellschaft verändert sich rasant – und mit ihr auch das ehrenamtliche Engagement. Wolf-Dietrich Graf von Hundt, ehrenamtlicher Leiter der Malteser in der Diözese Augsburg blickt optimistisch in die Zukunft. Er ist überzeugt: Wenn es gelingt, neue Formen des freiwilligen Engagements in die bestehenden Strukturen zu integrieren und damit insbesondere auch junge Menschen anzusprechen, erfüllt das Ehrenamt jetzt und in Zukunft eine wertvolle Funktion. Denn in einer Gesellschaft, die sich in immer mehr Gruppen spaltet, kann ehrenamtliche Arbeit Brücken bauen und so zu einem besseren Zusammenhalt beitragen. Für seine langjährige Tätigkeit und seine besonderen Verdienste hat Graf Hundt jetzt die Malteser Verdienstplakette in Gold erhalten.
Graf Hundt, herzlichen Glückwunsch zu dieser schönen Auszeichnung! Diese würdigt ja unter anderem, dass Sie nun schon seit 20 Jahren ehrenamtlicher Leiter der Malteser in der Diözese Augsburg sind. Was bewegte und bewegt Sie dazu, sich seit so vielen Jahren ehrenamtlich zu engagieren?
Schon in meiner Kindheit und Jugend auf dem Land habe ich erlebt, dass ohne ehrenamtliches Engagement nichts läuft. Jeder und jede bringt sich irgendwo ein – ganz gleich, ob bei der Freiwilligen Feuerwehr oder als Ministrant. Und was für die Dorfgemeinschaft im Kleinen gilt, stimmt auch für die Gesellschaft als Ganzes: Sie funktioniert nur, wenn alle mitmachen. Daher war und ist es für mich selbstverständlich, ehrenamtlich tätig zu sein.
Die Aufgabe als ehrenamtlicher Diözesanleiter gibt mir ja auch sehr viel zurück: Gemeinsam mit dem sehr motivierten, professionellen Team der Geschäftsstelle machen wir viel möglich und bringen Dinge ins Laufen, die anfangs unmöglich scheinen. Ganz besonders schätze ich den Kontakt zu unseren Ehrenamtlichen, die hochqualifiziert sind und einen tollen Job machen!
Warum ist das Ehrenamt aus Ihrer Sicht gerade in der heutigen Zeit so wichtig?
Wir erleben derzeit, dass die Gesellschaft immer mehr in unterschiedliche Gruppen zerfällt. Diese Entwicklung gab es schon vor dem Ausbruch des Corona-Virus, aber die Pandemie hat sie nochmals verstärkt. In meinen Augen ist das Ehrenamt ein wichtiger Kitt für unsere Gesellschaft, denn die gemeinsame Aufgabe schweißt Menschen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen zusammen. Das gilt für Sanitätsdienste und Katastrophenschutz, insbesondere aber auch für die vielen sozialen Dienste. Menschen erleben dort, dass sie gebraucht werden. Und auf der anderen Seite erfahren Menschen echte Hilfe. Es gibt hier so viel zu tun – jedes Engagement ist gut und wichtig!
Wie haben sich aus Ihrer Sicht das Umfeld und die Rahmenbedingungen für das Ehrenamt entwickelt, seit Sie Ihr Amt bei den Maltesern übernommen haben?
Als ich bei den Maltesern angefangen habe, standen neben den klassischen „Blaulichtdiensten“ insbesondere die Fahrdienste, etwa für Menschen mit Behinderungen, im Fokus. Anfang der 2010er-Jahre übernahmen zunehmend andere Anbieter diese Fahrten und wir standen vor der Herausforderung, uns in anderen Bereichen zu engagieren. Wir haben hingehört – in der Gesellschaft, in der Politik, in Pfarreien – und herausgefunden, was in der Gesellschaft fehlt.
Heute gibt es unter dem Dach der Malteser vielfältige soziale Dienste: von der Schulbegleitung über den Sitztanz für Senioren bis hin zur Betreuung von Menschen, die an Demenz erkrankt sind. In Zusammenarbeit mit der Caritas haben wir außerdem die Verteilung von Lebensmittelpaketen an bedürftige Menschen ins Leben gerufen.
Der Wegfall der Fahrdienste hat damit im Rückblick Platz geschaffen für Neues. Eine solche Entwicklung funktioniert nur mit einem engagierten jungen Team, das am Puls der Zeit handelt. Ich würde sagen: Die Malteser haben sich in den letzten Jahren zu einer überaus professionellen Hilfsorganisation entwickelt.
Wo sehen Sie Ihre Hauptaufgaben als ehrenamtlicher Diözesanleiter?
Wer sich in seiner knappen Freizeit ehrenamtlich engagiert, soll sich nicht mehr als nötig mit Zahlen, Rechnungen oder anderen Routineaufgaben befassen müssen. Wir in der Geschäftsstelle sehen uns als Serviceeinheit, die die Ehrenamtlichen bei solchen Tätigkeiten entlastet und es ihnen ermöglicht, sich auf ihre Aufgaben zu konzentrieren. Und wenn es irgendwo Unstimmigkeiten gibt, arbeiten wir gemeinsam daran, mit allen Beteiligten eine konstruktive Lösung zu finden.
Im vergangenen Jahr konnten die Malteser in der Diözese Augsburg ihr 60-jähriges Bestehen feiern. Wo lagen aus Ihrer Sicht die Meilensteine – insbesondere in den vergangenen 20 Jahren?
Jeder neue Dienst, den wir anbieten, ist für uns ein kleiner Meilenstein. Die schon angesprochene Entwicklung weg von der Fahrdienstzentrale hin zu den vielen – oft auch kleinen – sozialen Diensten war und ist eine große Leistung, die wir alle gemeinsam in den letzten Jahren gestemmt haben. Unsere Ehrenamtlichen füllen die Schlagwörter „Teilhabe“ und „Inklusion“, die aktuell sehr an Bedeutung gewinnen, tagtäglich mit Taten und mit Leben.
Ein Beispiel für einen dieser kleinen, aber umso wertvolleren Dienste: die Lesepaten in Kempten, die Kinder mit Migrationshintergrund beim Lernen unterstützen. Wir geben den Ehrenamtlichen dafür ein Zuhause – das heißt: einen professionellen Rahmen und gute Einsatzbedingungen für ihr Engagement.
Laut dem Ehrenamtsmonitor der Malteser vom März 2022 ist die Wertschätzung für ehrenamtliche Arbeit im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Gleichzeitig stagniert jedoch die Bereitschaft, sich selbst freiwillig zu engagieren. Viele Menschen scheuen sich vor einem längerfristigen Ehrenamt. Können Sie das aus Ihrer Erfahrung auch für die Diözese Augsburg bestätigen? Und wie gehen die Malteser mit dieser Situation um?
Auch wir nehmen wahr, dass das Ehrenamt sich wandelt. Bei aktuellen Ereignissen, wie etwa der Ankunft von Geflüchteten 2015 oder den Überflutungen im Ahrtal 2021, haben sehr viele Menschen spontan den Wunsch zu helfen. Die Herausforderung für uns besteht darin, sie in die Organisation der Hilfsdienste zu integrieren. Denn wir brauchen diese Menschen – nichts wäre schlimmer, als ihr Unterstützungsangebot nicht anzunehmen. Es gilt also einerseits, ihnen eine Aufgabe und einen Ansprechpartner zu geben, andererseits sie mit der richtigen Ausrüstung, Essen und Getränken zu versorgen und darauf zu achten, dass sie rechtzeitig eine Pause machen. Wir müssen den Überblick haben, wo diese Leute sind und was sie gerade tun. Das ist ein bundesweites Thema, an dem wir aktuell mit hohem Einsatz arbeiten.
Genauso wichtig ist es aber nach wie vor, dass Menschen längerfristig ehrenamtlich tätig werden und insbesondere Leitungs- und Führungsaufgaben übernehmen. Diese sind oft nicht ganz so beliebt, weil sie viel Arbeit bedeuten, die sich eher im Hintergrund abspielt. Aber genau diese Arbeit macht das Ehrenamt direkt am Menschen erst möglich.
Wie begeistern Sie Menschen dafür, sich bei den Maltesern ehrenamtlich zu engagieren?
Ich sage immer: Die Bereitschaft zum Engagement ist da. Man muss die Menschen nur abholen.
Dazu nutzen wir aktuell sehr stark unsere Social-Media-Kanäle – und ich bin immer wieder begeistert, was wir da in den letzten Jahren quasi von Null aufgebaut haben. Und noch immer ist auch der persönliche Kontakt eine große Chance, beispielsweise bei Teilnehmerinnen und Teilnehmern von Erste-Hilfe-Kursen.
Bei aller Begeisterung müssen wir aber immer ehrlich und transparent kommunizieren. Die Menschen müssen wissen, was mit einem Ehrenamt auf sie zukommt. Es nützt ja niemandem, wenn man den zeitlichen Aufwand für Ausbildung und Dienst kleinredet. Damit frustriert man Menschen nur – und wir verlieren sie, sobald sie sehen, dass sie die benötigte Zeit nicht aufbringen können. Allen, die Lust auf das Ehrenamt wie auch das nötige Zeitbudget mitbringen, haben wir einiges zu bieten: eine fundierte Ausbildung, eine sinnstiftende Tätigkeit und nicht zuletzt Soft Skills wie Kommunikations- und Teamfähigkeit, die auch im Job Vorteile bringen.
Wie wird sich die ehrenamtliche Arbeit Ihrer Meinung nach in den kommenden Jahren entwickeln?
Ich bin mir sicher: Das Ehrenamt hat die Kraft, die Gesellschaft zum Positiven zu verändern, indem es den Zusammenhalt, der aktuell an so vielen Stellen fehlt, wieder herstellt. Die Fragen für uns als Organisation lauten: Was braucht die Gesellschaft? Und: Was sind die Menschen bereit ehrenamtlich zu bieten? Unsere Aufgabe ist es, beides auf kluge Weise zusammenzubringen.
Besonders bei der jungen Generation sehe ich eine große Hilfsbereitschaft. Diese zu mobilisieren empfinde ich als wichtige Aufgabe, denn allein vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung brauchen wir junge Menschen dringend. In diesem Zusammenhang ist auch die Zuwanderung ein wichtiger Faktor: Viele Migrantinnen und Migranten kommen aus Ländern, in denen es viel selbstverständlicher ist, sich einzubringen. Sie wollen und können das auch hier – daher gilt es, die Sprachbarriere abzubauen und die Menschen hier zu integrieren. Das braucht Zeit und kann mühsam sein. Aber es lohnt sich!
Welche Wünsche haben Sie für die nächsten Jahre?
Mein Wunsch ist, dass wir unseren eingeschlagenen Weg weitergehen und auch künftig unsere Ideen für gute Projekte umsetzen können, indem wir Ehrenamtliche und finanzielle Mittel dafür finden und an der richtigen Stelle zusammenzubringen. Glücklicherweise haben wir in der Diözese Augsburg sehr viele Fördermitglieder, die mit ihrer großzügigen finanziellen Unterstützung zahlreiche Dienste erst möglich machen und uns gerade dabei helfen, die gestiegenen Preise für Sprit und medizinische Produkte zu stemmen.
Unsere Kombination aus einem jungen, kreativen hauptamtlichen Team und vielen hochmotivierten Ehrenamtlichen lässt mich optimistisch in die Zukunft blicken. Wir sollten uns dieses Zusammenspiel bewahren und sinnvoll weiterentwickeln.
Und bei allem sollten wir nicht vergessen: Wir können selbst viel dazu beitragen, dass unser Weg in die richtige Richtung geht – aber nicht alles liegt in unserer Hand. Ich wünsche mir, dass Gott beschützend seine Hand über uns hält in allem, was wir tun.
Graf Hundt, vielen Dank für das Gespräch!
Herzlichen Dank, dass Sie dazu bereit sind, anderen Menschen Ihre Zeit und Ihr Engagement zu schenken.
